“Wir müssen diese Pandemie tiefer verstehen”

Dr. Rüdiger Krech über den tieferen Sinne der Corona-Pandemie

„Wenn wir die Covid-19-Pandemie nicht von Grund auf verstehen, wird es bald eine nächste Pandemie geben, die wahrscheinlich grösser und schwieriger sein wird als die derzeitige“, sagt Dr. Rüdiger Krech, Direktor für Gesundheitsförderung bei der WHO. Was tun? Rüdiger Krech hat ein Rezept. Jeder kann es anwenden und es hilft allen.

Herr Krech, was bedeutet das, die Covid-19-Pandemie tiefer verstehen?

Rüdiger Krech: Denken wir die Erde als lebendigen Organismus. Dann ist die derzeitige Pandemie eine Welterkrankung. Wie bei allen Erkrankungen ist es wichtig, deren Ursachen zu diagnostizieren und ihnen nachzugehen. So wie eine Ärztin sich mit ihrem Patienten auf diesen Weg der Gesundung macht, so muss man es auch mit der Welt tun.

Die Erde ist ökologisch krank, das ist offensichtlich. Doch was ist mit Sars CoV-2?

Gesundheits- und Krankheitsprozesse können als Seismograph für den Zustand eines lebendigen Organismus verstanden werden. Die Welt leidet derzeit an einer Gesundheitskrise, einer Umwelt- und einer sozialen Krise. Frühere Erkrankungen haben nicht zu Verhaltensänderungen geführt. Bei einem Patienten, der Kettenraucher ist, übermäßig Alkohol trinkt, nicht auf eine gesunde Ernährung achtet und sich zu wenig bewegt, ist es nicht erstaunlich, wenn er Diabetes, einen Herzinfarkt oder Krebs bekommt. Im übertragenen Sinne ist die Welt ein solcher Patient. Trotzdem bleibt es beim Patienten Erde bei laschen Absichtserklärungen. Die Weckrufe, dass der Patient Erde lebensbedrohlich erkrankt ist, wurden nicht gehört. In diesem jungen Jahrtausend hatte die Welt bereits die Vogelgrippe, Ebola, die Schweinegrippe und nun Corona. Jede dieser Welterkrankungen war schlimmer als die vorherige.

Das waren sehr unterschiedliche Krisen…

Ja, doch sie hatten eine gemeinsame Ursache: Für das Überspringen von Viren aus dem Tierreich auf den Menschen, die wir Zoonosen nennen, war stets menschliches riskantes Verhalten verantwortlich. Egal ob es um Tiermärkte ging, die nicht die Standards der Lebenmittelsicherheit eingehalten haben. Oder um ungeplante Verstädterung, die viel zu stark in den Lebensraum von Wildtieren eingedrungen ist. Zusammen mit einer extrem gesteigerten Mobilität und globalem Handel können viele dieser riskanten Verhaltensweisen zu globalen Gesundheitskrisen führen.

Viele Menschen fühlen sich angesichts solcher Probleme hilflos. Was kann denn der Einzelne in der aktuellen Krise tun?

Viele Menschen fühlen sich hilflos, weil sie durch die Auswirkungen dieser Krise die Kontrolle über ihre Gesundheit verlieren. Menschen darin zu befähigen, Kontrolle über ihre Gesundheit zu erlangen, ist die Definition von „Gesundheitsförderung“. Diese ist in dieser Krise zentral wichtig.

Das leuchtet ein, doch was kann der Einzelne konkret tun?

Der Einzelne kann viel tun. Fangen wir mal mit der sozialen Krise an. Schon vor der Pandemie waren wir besorgt über die Zunahme von Hass und Hetze, die vor allem in den sozialen Medien verbreitet wurde. Ein ungesundes Gemisch aus Fehl- und Falschinformation, Lüge und Respektlosigkeit im Umgang mit anders Denkenden hat den sozialen Austausch unterminiert. Die Pandemie hat dies nun nicht nur stärker in den Fokus gerückt, sondern verstärkt. Parallel zur Pandemie haben wir eine Infodemie.

Das heisst, eine enorme und oft widersprüchliche Informationsflut…

Genau. Jeder einzelne kann dazu beitragen, dieser gefährlichen Bedrohung unseres Soziallebens entgegen zu treten. Jeder kann und muss zunächst einmal genau prüfen, ob dass, was er sagen will, faktisch richtig ist. Das Weiterleiten einer halbwahren WhatsApp in der Chatgruppe ist fahrlässig. Auch ist es eine Unterlassung, eine Halbwahrheit nicht zu benennen und richtig zu stellen.

Die Quintessenz davon bedeutet, dass wir respektvoller mit anderen umgehen sollten? Auch mit anders Denkenden?

Ja, unbedingt. Wir tendieren immer mehr dazu, nur noch mit denjenigen zu kommunizieren, die unserer Meinung sind. Da wir uns global mit Gleichgesinnten treffen, sind wir nicht mehr darauf angewiesen, uns mit den Menschen in unserem unmittelbaren Umfeld auseinander zu setzen. Dadurch entstehen „soziale Blasen“. Diese sind zunächst sympathisch, da sie eine direkte Auseinandersetzung vermeiden. Aber letztlich führen sie zu einer Spaltung der Gesellschaft. Kommt eine Notlage hinzu, hat das gesellschaftliche Sprengkraft.

Es gibt aber doch auch viel Solidarität in der Bevölkerung.

Wir haben vor allem zu Beginn der Pandemie viel Solidarität gesehen. Davon ist nicht viel übrig geblieben. Noch vor einem Jahr haben wir geklatscht für die Menschen an den Lebensmittelkassen und für die Abfallmänner. Was wir nun verstärkt sehen ist Individualismus, Nationalismus, Ungleichheiten, Einschränkung von Rechten und mangelnde Pflege von Kranken.

Alles Dinge, die eine Krise verschärfen…

Genau, das macht mich sehr besorgt. Stellen Sie sich vor, wir haben eine andauernde Pandemie und gleichzeitig militärische Konflikte. Der ultimative Albtraum! Solche Albträume können aber real werden, wenn wir uns nicht ernsthaft um Dialogfähigkeit, gegenseitige Wertschätzung und Solidarität bemühen.

Gespräche als geistige Arznei?

Ja, aber nicht irgendwelche Gespräche ohne aufrichtiges Interesse am anderen. Sondern offene, vorurteilslose Gespräche. Wir sollten einen wirklichen Austausch mit anderen suchen. Wir sollten uns fragen: „Was bewegt den anderen Menschen? Warum verhält er sich so? Wovor hat er Angst und warum?“ Die Covid-19-Krise ist ein Lackmustest, der die Schwächen unserer Gesellschaft ans Tageslicht bringt. Wenn wir die gesellschaftliche Solidarität nicht stärken, werden sich immer mehr Leute extrem verhalten.

Aufeinander zugehen setzt Vertrauen voraus.

Richtig. Vertrauen darauf, dass Liebe Hass besiegt. Dass diese Zeit der physischen Distanz eben auch die Zeit ist, Brücken zu anderen zu bauen und nicht einzureißen. Dass Solidarität und soziale Verantwortung aus Liebe für die Welt über individuelle Interessen gestellt werden kann. In dieser Weise ist Vertrauen wichtig für eine freiheitliche, gesunde Gesellschaft. Mit einer solchen Grundhaltung sollte man hineingehen in die Beziehung zu anderen.

Und diese Veränderungen im Kleinen haben Auswirkungen auf das große Ganze?

Ja, denn eine menschlichere Gesellschaft ist auch die Grundlage für eine Wellbeing Economy. Für eine Wirtschaft, welche menschliche Grundbedürfnisse im Rahmen der Grenzen, die uns eine heilende Umwelt vorgibt, befriedigt. Eine Wirtschaft, die von Brüderlichkeit und Schwesterlichkeit geprägt ist und bei der es nicht um „shareholders“ – also Aktionärsinteressen – geht, sondern um „stakeholders“, also Beteiligteninteressen.

Interessenskonflikte wird es immer geben…

Bestimmt, doch die Entscheidungsträger müssen genauer wissen, was die möglichen Konsequenzen ihres Handelns auf die Weltgesundheit sind. Und wie man Kompromisse schließt, die der Gesundheit der Welt zuträglich sind.

Nehmen wir an, wir machen uns daran, unseren Planeten zu heilen…

Wenn wir das tun, wird sich das gesundheitlich, sozial und wirtschaftlich enorm heilsam auswirken. Wir haben kürzlich auf der Globalen Gesundheitsförderungskonferenz der WHO die „Genfer Charta zum Gesellschaftlichen Wohlergehen“ verabschiedet. Sie bildet einen Rahmen, wie sich Gesellschaften verändern müssen, um von dieser Welterkrankung heilen zu können. Immer mehr Länder fangen an, diesen radikalen Gesundungsweg zu gehen. Und so dürfen wir mit Zuversicht in eine neue Zeit blicken.

Beitrag online seit: 20.12.2021
Foto: z.V.g, allianceforhealthpromotion.org

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