Die Corona-Pandemie hängt auch mit der „Luftverschmutzungs-Pandemie“ zusammen. Und zwar gleich aus mehrern Gründen, wie aktuelle Studien zeigen.
Forscher der Harvard T.H. Chan School of Public Health sehen eine direkte Verbindung zwischen der Corona-Sterblichkeit und der Luftverschmutzung. Die Wissenschaftler haben beobachtet, dass die Menschen in Regionen mit starker Luftverschmutzung schwerer an Covid-19 erkrankt sind als in Regionen mit besserer Luft. Laut der Harvard-Studie steigt das Sterblichkeitsrisiko mit jedem zusätzlichen Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft um 15 Prozent.
Diese Erkenntnis erinnert an eine Analyse des in Deutschland tätigen Geologen Yaron Ogen. Dem Fachmann war bei der Sichtung von Satellitenbildern im ersten Halbjahr 2020 folgendes aufgefallen: In Regionen, wo vor dem Ausbruch besonders viel Stickstoffdioxid (NO2) in der Luft hing und wenig Wind wehte, starben besonders viele Menschen an Covid-19.
Überraschend sind diese Erkenntnisse nicht. Längst ist wissenschaftlich belegt, dass Luftschadstoffe die erste körperliche „Verteidigungslinie“ gegen aerobe Krankheitserreger angreifen. Auch das Coronavirus SARS-CoV-2 muss die Schleimhaut von Nase, Rachen, Bronchien und Lunge überwinden, bevor es tiefgreifenderen Schaden anrichten kann.
Eine gesunde Schleimhaut ist abwehrkräftig und gut durchblutet. Der chronische Kontakt mit Luftschadstoffen aber macht sie entzündungsanfälliger und verletzlicher.
Hinzu kommt eine weitere unheilvolle Wirkung von Luftschadstoffen, wie der Herzchirurg Prof. Dr. Thomas Münzel vom Universitätsklinikum Mainz erklärt: „Wenn Menschen verschmutzte Luft einatmen, wandern die sehr kleinen gesundheitsschädlichen Feinstaubpartikel von der Lunge ins Blut und in die Blutgefäße. Dort verursachen sie Entzündungen und starken oxidativen Stress.“
Die Folge sind Schäden an der inneren Arterienschicht, dem sogenannten Endothel, und eine Verengung und Versteifung der Arterien.
Kommt eine langfristige Exposition gegenüber Luftschadstoffen und eine Infektion mit Covid-19-Virus hinzu, addieren sich die Negativwirkungen. Das wiederum führe „zu einer größeren Anfälligkeit und einer geringeren Widerstandsfähigkeit gegenüber Covid-19“, sagt Thomas Münzel.
Ausserdem gibt es Hinweise, dass Feinstaub die Aktivität des ACE-2 Rezeptors auf Zelloberflächen erhöht. Ein Rezeptor, der bei der Infektion der Zellen durch Covid-19 eine Rolle spielt. Somit läge ein „Doppeltreffer“ vor, erklärt Thomas Münzel: „Luftverschmutzung schädigt die Lunge und erhöht die Aktivität von ACE-2, was wiederum zu einer verstärkten Aufnahme des Virus durch die Lunge führt.“
Seit Jahren belegen unzählige Studien, dass verschmutzte Luft die Lungenkapazität einschränkt und das Entstehen bestimmter Krankheiten fördert: vorab von Atemwegsinfekten, Lungenerkrankungen, Herz-Kreislauf-Beschwerden und Bluthochdruck. Ein Zufall, dass diese Krankheiten „Risikofaktoren“ für eine Covid-19-Erkrankung sind?
Gemäss dem Bundesamt für Umwelt Bafu sterben alleine in der Schweiz jedes Jahr rund 2’200 Menschen wegen verschmutzter Luft. Das sind sechs Personen pro Tag.
Bei Kindern führen Luftschadstoffe jährlich zu rund 12’000 Fällen von akuter Bronchitis, bei Erwachsenen zu 2300 neuen Fällen von chronischer Bronchitis.
Unter dem Strich verursacht die Luftverschmutzung – ebenfalls laut Bafu – jährliche Gesundheitskosten von rund 6,5 Milliarden Schweizer Franken. Die Hauptursachen dieser Geldverschleuderung sind Feinstaub und Ozon.
In Lebenszeit ausgedrückt, kostet die Luftverschmutzung jedem Europäer zwei Lebensjahre. Das haben Forscher der Universität Mainz und des Max Planck Instituts für Chemie ausgerechnet.
Den Zusammenhang zwischen Luftschadstoff-Konzentrationen und dem Auftreten von Krankheiten beurteilen sie als „enorm gross“.
Prof. Dr. Jos Lelieveld, Direktor am Max-Planck-Institut für Chemie, sprach von einer „Luftverschmutzungs-Pandemie“. Diese gehöre zu den Hauptursachen für vorzeitige Todesfälle und den Verlust an Lebensjahren.
Gemäss einer früheren Studie des Max-Planck-Instituts für Chemie verursacht Feinstaub Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems und Lungenkrebs. Ozon dagegen eher Lungenkrankheiten, chronischen Husten und Atemnot.
Die winzigen Feinstaub-Partikel können tief ins Lungengewebe eindringen und von dort in Blutgefäße. Es gibt Hinweise, dass die Feinstaub-Partikel in den Blutgefäßen Plaques (mit)verursachen und dadurch das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle erhöhen.
Genug der Hiobsbotschaften. Was können wir im Alltag konkret gegen die verschmutzte Luft tun? Da gibt es einiges, zum Beispiel dies:
12.5.2020/letztmals aktualisiert 11.11.2020
Wie lässt sich die virale Abwehrkraft mit Pflanzenkraft stärken?
Warum kann ein Vitamin-D-Mangel das Risiko für Covid-19 erhöhen?
Woher kommt der schädliche Feinstaub?
Gemäss einer Studie des Max-Planck-Instituts ist in den Industrienationen neben dem Verkehr die Landwirtschaft Hauptverursacherin des Feinstaubs. Genauer gesagt deren Düngemittel, Gülle und Massentierhaltung. Die daraus resultierenden Abbaustoffe Ammoniumsulfat und Nitrat tragen maßgeblich dazu bei, dass sich Feinstaubpartikel in der Atmosphäre überhaupt bilden können.
6,6 Millionen Smog-Tote
Wenn wir weitermachen wie bisher, werden bis 2050 doppelt so viele Menschen an Luftverschmutzung sterben wie heute. Also rund 6,6 Millionen Menschen jährlich.