Die beiden Experten für gutes Zuhören Lorenz Marti und Michel Gutberlet wissen: Viele Leute sind sich nicht bewusst, dass sie mangelhaft zuhören. Und damit fortlaufend Fehler und Missverständnisse verursachen. Das frisst viel Zeit und Energie.
Hinhorchen, wozu?
Finden Sie es schön, wenn Sie jemand versteht? Die meisten Menschen würden diese Frage bejahen. Solche Begegnungen entstehen, wenn wir aufmerksam, offen und wohlwollend zuhören. Grund genug, um im Alltag häufiger gut hinzuhorchen.
Wie man denkt, so hört man hin
Woran liegt es eigentlich, dass manche Menschen prima Zuhörer sind und andere nicht? Laut dem Zürcher Psychotherapeuten Michael Gutberlet ist die Art, wie jemand zuhört, eine Folge der eigenen Denk- und Redegewohnheiten: „Wer sich angewöhnt hat, offen und lernbegierig zu sein, ist eher ein guter Zuhörer als jemand, der davon ausgeht, dass die eigene Welt spannender ist als diejenige des Gegenübers“.
Reden bis der andere umfällt?
Genauso entscheidend für das gute Zuhören sei die Fähigkeit, mit sich selbst und anderen einfühlsam umzugehen: „Wer mit Gedanken und Gefühlen aufmerksam umgeht, mit den eigenen genauso wie mit fremden, wird kaum reden, bis der andere glasige Augen bekommt oder vor Erschöpfung umfällt.“
Schlechtes Zuhören und die Folgen
Der Alltag sieht anders aus. Mangelhaftes Zuhören ist weit verbreitet. Die Folgen davon: Unklarheiten, Fehler, mangelndes Vertrauen und ein schlechtes Betriebsklima. Im privaten Bereich ist es nicht anders: Beziehungsfrust und Missverständnisse. Nur weil wir nicht ganz Ohr sind.
Bitte öfters mal schweigen
Chronischen Vielrednern empfiehlt Michael Gutberlet, öfters mal zu schweigen und einfach zuzuhören. „Das wirkt beruhigend“, und führe nicht selten zu „wirklich neuen Entdeckungen“.
Um das Zuhören zu üben, könne es zum Beispiel helfen, fremden Leuten in Bus und Bahn aufmerksam zu lauschen, ohne das Gehörte zu werten.
Zuhören löst Bilder aus
Wie geht das: Zuhören, ohne zu werten? Lösen gehörte Worte nicht automatisch Assoziationen aus, die leicht zu Bewertungen führen? „Es ist schon so, dass alles, was man hört, gleich durch den Filter der eigenen Interpretation geht. Was der andere sagt, und auch wie er es sagt, bringt sofort eigene Erinnerungen und Bilder an die Oberfläche“, sagt der Berner Radiojournalist Lorenz Marti, auch er „Berufszuhörer“.
Raus aus der Assoziationsfalle
Doch Lorenz Marti hat einen Weg gefunden, um die Assoziationsfalle zu umgehen: „Sobald ich merke, dass beim Zuhören eine starke Assoziation in meinem Geist auftaucht, denke ich: „Hey, du klassifizierst gerade! Höre genau hin, was die andere Person sagt!“
Auch macht sich Lorenz Marti immer wieder bewusst, dass man andere Menschen nicht wirklich kennen kann. Sein Fazit: „Jeder Mensch ist letztlich ein Geheimnis. Sogar alte Freunde und Ehepartner, mit denen man seit Jahrzehnten zusammenlebt.“
Wertschätzung im Gespräch
Auch für Michael Gutberlet hängt der Erfolg des Zuhörens von der persönlichen Einstellung ab. Und zwar besonders vom persönlichen Menschenbild. Die psychotherapeutische Richtung nach Carl R. Rogers, die Gutberlet praktiziert, geht davon aus, dass der Mensch ein soziales Wesen ist, das sich im Einklang mit seiner Umwelt entwickeln will. «Aus diesem Grundverständnis heraus resultiert eine positiv wertschätzende Haltung. Pflegt man eine solche, entfaltet sie sich auch in Zuhör- und Gesprächssituationen», sagt Gutberlet.
Ausserdem spüre jeder Mensch, mit welcher Gesinnung man ihm zuhöre, sagt Michael Gutberlet. Wer anderen vorbehaltlos und wertschätzend zuhöre, komme ganz anders rüber, als wenn jemand wertend zuhöre.
Die vier Ohren
Erinnern Sie sich an das „Vier-Ohren-Modell“ des Psychologen Friedemann Schulz von Thun? Der Kommunikationswissenschaftler fand heraus, dass der Mensch auf vier verschiedenen Ebenen spricht und mit vier verschiedenen Ohren zuhört.
„Die Suppe ist kalt“
Nehmen wir an, Sie äussern beim Abendessen den Satz: „Die Suppe ist kalt.“ Diese Information kann Ihr Gegenüber als reine Sachinformation verstehen. Die Suppe ist kalt. Stimmt!
Ihr Gegenüber kann den gleichen Satz aber auch als versteckten Appell auffassen. Frauen hören besonders oft mit dem“Appell-Ohr“. Sitzt Ihre Partnerin gerade mit Ihnen am Tisch, wird sie sich womöglich aufgefordert fühlen, die Suppe zu erwärmen.
Oder noch vielschichtiger
Noch komplexer wird der Informationsaustausch, wenn Ihnen Ihr Gegenüber mit dem „Beziehungs-Ohr“ zuhört. Dann wird Ihr Satz von der kalten Suppe womöglich so interpretiert: „Das Essen schmeckt nicht gut genug.“ Oder: „Ich bin eine schlechte Köchin.“
Auf welcher Ebene spricht der andere?
Dieser Abstecher in die Welt des „Vier-Ohren-Modells“ zeigt, wie wichtig es ist, beim Zuhören wahrzunehmen, auf welcher Ebene der andere gerade spricht. Bei der richtigen Einschätzung der Gesprächsebene helfen Ihnen die eigene Achtsamkeit, Lebenserfahrung und eine gute Selbstwahrnehmung.
Sich selber wahrnehmen
Erinnern Sie sich an den Trick von Berufshörer Lorenz Marti? «Sobald ich merke, dass beim Zuhören eine fixe Assoziation in meinem Geist auftaucht, denke ich: „‹Hey, du klassifizierst gerade! Höre genau hin, was dein Gegenüber sagt!›“ Das ist angewandte Selbstwahrnehmung.
Die Ohren sortieren
Psychologe Michael Gutberlet empfiehlt zudem, ganz bewusst „mit verschiedenen Ohren“ zu experimentieren. Als Leitlinie gelte dabei: „Rational orientierte Leute werden bessere Zuhörer, wenn sie zusätzlich auf die Gefühlsbotschaft hinter den Worten achten.“
Umgekehrt werden gefühlsbetonte Menschen bessere Zuhörer, „wenn sie vermehrt auf den Sachgehalt des Gehörten achten.“
Der Rückfrage-Trick
Kommunikationsprofis empfehlen zudem, sich immer wieder mal zu vergewissern, ob einen das Gegenüber richtig verstehe. Indem man fragt: „Verstehe ich Sie richtig, dass…?“ oder „Wie meinst Du das genau?“.
Innere Ruhe ist Basis
Nicht zuletzt beruht die Kunst des guten Zuhörens auf der Fähigkeit zur inneren Ruhe. Wenn der „Radiosender“ im eigenen Kopf voll aufgedreht ist, wird die Stimme des Gegenübers zum Hintergrundgeräusch. Eine Binsenwahrheit – und doch so oft überhört.
Fragen Sie sinnvoll?
Zum guten Zuhören gehören im Weiteren gute Fragen. Sinnvolle Fragen bereichern jedes Gespräch. Sie schaffen eine Atmosphäre der Nähe. Sie räumen Missverständnisse aus. Und sie vertiefen das gegenseitige Verständnis.
Für Michael Gutberlet fliessen „gute Fragen“ ganz natürlich aus dem guten Zuhören: „Was der andere sagt, ist der Anknüpfungspunkt.“
Die Geschichten hervorholen
Besonders geübt im Fragestellen ist Journalist Lorenz Marti. Er hat viele Hunderte von Menschen interviewt. Und dabei die Erfahrung gemacht, dass die meisten Menschen interessante Geschichten zu erzählen haben. Lorenz Marti: „Durch geschicktes und einfühlsames Fragen kann man diese Geschichten hervorholen.“
„Wie kommt es, dass…?“
Wichtig sei es, Fragen zu stellen, die dem Gesprächspartner Raum geben, um die eigenen Gedanken und Gefühle zu entfalten, sagt Lorenz Marti. Also nicht nur Fragen, die man mit „Ja!“ oder „Nein!“ beantworten kann.
Sondern „offene Fragen“. Zum Beispiel: „Wie sehen Sie das …?“. Oder „Wie kommt es, dass …?“. Oder auch „Wie war das damals …?“.
Ohne innere Uhr zuhören
Gelingende Gespräche geschehen meist nicht mit einer Stoppuhr in der Hand. Gutes Zuhören braucht Zeit. Und wird leider viel zu häufig für „Zeitverschwendung“ gehalten.
Die Zuhör-Experten Michel Gutberlet und Lorenz Marti jedenfalls sind sich einig: Viele Leute sind sich nicht bewusst, dass mangelhaftes Zuhören viele Fehler, Unklarheiten und Missverständnisse verursacht. Das frisst letztlich viel mehr Zeit und Energie als gutes Zuhören.
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Meine Gesprächspartner:
Michael Gutberlet ist Diplom-Psychologe und Psychotherapeut. Er arbeitet in einer psychotherapeutischen Praxis in Zürich.
Lorenz Marti war Journalist bei Schweizer Radio DRS. Er hat mehrere Bücher geschrieben.
Am 27. Mai 2020 ist der Berner Schriftsteller und ehemalige Radioredaktor gestorben.
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Selbsttest: Mit dem Test in der linken Spalte dieses Beitrags (siehe Computer-Bildschirm) können Sie in acht einfachen Schritten herausfinden, wie es um Ihre Fähigkeit des guten Zuhörens steht.
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SELBST-TEST
Wie gut kann ich eigentlich zuhören?
Der nachfolgende Test bringt die eigenen Zuhör-Qualitäten ans Licht.
Je mehr Ja-Antworten, desto grösser ist die Zuhör-Kompetenz. Viel Freude!
EINS. Wenn ich nichts Wichtiges zu sagen habe, schweige ich lieber.
ZWEI. Ich bin mit meiner eigenen Meinung in der Regel eher zurückhaltend. Es sei denn, ich werde danach gefragt.
DREI: Ich pflege bei Unklarheiten nachzufragen, was genau gemeint ist.
VIER. Ich kann der Versuchung widerstehen, anderen ungefragt einen Rat zu erteilen.
FÜNF. Es fällt mir leicht, einen Gesprächspartner nicht zu belehren. Auch wenn ich den Eindruck habe, dass ich etwas besser weiss.
SECHS. Ich lasse mich durch einen Vorwurf oder eine Kritik nicht so leicht aus der Ruhe bringen.
SIEBEN. Ich achte beim Zuhören darauf, welche Gefühle in mir aufsteigen, und nehme auch die Gefühle meines Gesprächspartners wahr.
ACHT. Ich halte Gesprächspausen aus, ohne mich unruhig, ängstlich oder ratlos zu fühlen.