Viele Kinder würden sich am liebsten von Süßigkeiten ernähren. Zum Glück gibt es bewährte Methoden, um Kinder vor Zuckerkonsum zu schützen. Denn Industriezucker hat für Kinder negative Folgen.
Wie schütze ich meine Kinder vor Zucker? Zum Glück gibt es bewährte Strategien, um Kinder vor Zuckerkonsum zu schützen. Auch wenn sich viele Kinder am liebsten von Süßigkeiten ernähren würden! Und der Alltag zunächst mal häufig anders aussieht. Das bestätigt eine Sendung des Schweizer Fernsehformats »10 vor 10«. Die Reporter machten folgenden Test: Sie boten dreißig Schülern zwei Pausensäcke an:
• Der eine Sack enthielt ein Weissbrot-Weggli, zwei Schokoladenstängel und ein»Red Bull«.
• Im anderen Sack waren ein Vollkornbrötchen, eine Frucht, ein Schoggistängel und eine Flasche Wasser.
Was denken Sie, wieviele Kinder wählten den zweiten, gesunden Pausensack?
Es waren genau zwei Kinder. Nach dem Grund für ihre Wahl befragt, sagten die anderen 28 Kinder, sie wüssten schon, dass ihr Znüni »nicht so gesund« sei, aber es schmecke halt viel besser!
Der Test verdeutlicht ein Phänomen, das längst die meisten Kinder und Teenager erfasst hat: Gemäß einer Studie des Bundesamtes für Gesundheit BAG befolgt nur ein Drittel der Kinder und Jugendlichen die Empfehlung, Süßes und zuckerhaltige Getränke möglichst wenig oder nur in Form einer einzigen, kleinen Tagesportion zu konsumieren. Bei den Erwachsenen sieht es ähnlich aus: Sie essen jedes Jahr zwischen 35 und 40 Kilo Zucker. Noch vor 60 Jahren waren es im Schnitt vier Kilo Zucker pro Jahr und Kopf.
Dabei spricht die medizinische Forschung eine deutliche Sprache. Eine zuckerlastige Ernährung fördert viele Erkrankungen: Adipositas (Fettsucht), Diabetes Typ 2, Herz-Kreislauf-Störungen und weitere Beschwerden. Ausserdem wird der Zuckerkonsum in Zusammenhang gebracht mit ADHS, dem Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom.
Die Praxis bestätigt, dass der Konsum zuckerhaltiger Süßigkeiten ADHS verstärken kann. So hat zum Beispiel die Zürcher Ärztin Dr. med. Eveline Breidenstein beobachtet, dass zuckerlastige Zwischenmahlzeiten bei kleinen Kindern und ADHS-Betroffenen einen »Energieschub mit Bewegungsdrang und Hyperaktivität« auslösen.
Ähnliches berichten Fachleute der ayurvedischen Medizin: »Zu viel Zucker wirkt mental zerstreuend, macht hibbelig und unkonzentriert. Langfristig begünstigt ein hoher Zuckerkonsum zudem das Entstehen von Trägheit und Antriebslosigkeit«, sagt die in Zürich tätige ayurvedisch-klinische Therapeutin Sonja Gubler.
Die deutsche Ernährungswissenschaftlerin Dr. Petra Kühne hat das Phänomen des Zuckerkonsums aus anthroposophischer Sicht untersucht. »Kinder, die zu Unruhe und Nervosität neigen, sollten möglichst wenig Zucker essen«, sagt auch sie. »Dann kann sich das nervös-sanguinische Temperament beruhigen«.
Nicht der regelmäßige Konsum von Süßigkeiten sollte das Normale sein, sondern der Nicht-Konsum von Süsswaren, fordern deshalb Ernährungsmediziner.
Eine weitere, wichtige Erkenntnis zum Genuss von Industriezucker verdanken wir der chinesischen Medizin. Diese hat beobachtet, dass ein hoher Zuckerkonsum die «energetische Mitte» schwächt, vor allem die Energie von Magen und Milz.
Das hat gesundheitliche Folgen. »Kinder, die zu häufig Süßigkeiten essen, haben öfters Verdauungsprobleme und Übergewicht. Sie neigen zu Erkältungsanfälligkeit, verstopfter Nase, Husten, Bronchitis und Mittelohrentzündungen«, sagt Pascale Barmet, Naturärztin und dipl. Ernährungsberaterin für TCM.
Und dennoch ist der süße Geschmack für die menschliche Gesundheit wichtig. Das hat die ayurvedische Medizin entdeckt. Danach wirken süße Nahrungsmittel gewebeaufbauend. Für Kinder ist das besonders wichtig.
Mit «süß» meint die ayurvedische Medizin allerdings nicht Industriezucker. Sondern natürlich süß schmeckende Getreide, Nüsse, Gemüse wie zum Beispiel Karotten oder Kürbis, außerdem auf reife Früchte, Trockenfrüchte und Honig.
Ein ausgeglichener Blutzuckerspiegel beugt Süßhunger-Anfällen vor. Darin sind sich Ernährungsfachleute aus Ost und West einig. Lebensmittel, die den Blutzucker über den Tag hinweg stabil halten, sind in erster Linie Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Gemüse und Salat. Aus diesen Lebensmitteln löst der Organismus die benötigten Zuckermoleküle schrittweise heraus und entlässt sie ins Blut.
Im Gegensatz dazu fluten industrielle Süßigkeiten das Blut mit fixfertigen Zuckermolekülen. Für eine solche Zuckerflut ist der menschliche Körper schlicht nicht gebaut. Das Überangebot an raffiniertem Zucker überlastet die Bauchspeicheldrüse und den hormonellen Regelkreis.
Die Berner Ernährungswissenschaftlerin Marianne Botta hat acht Kinder im Alter zwischen vier und achtzehn Jahren. Sie essen alle fürs Leben gerne Früchte, Salat, Gemüse und Hülsenfrüchte, und verlangen selten nach Zuckerspeisen. Ein Glücksfall oder purer Zufall?
Marianne Botta glaubt das nicht: »Ich habe meine Kinder von klein auf an eine zuckerarme, vollwertige Ernährung gewöhnt.«
In der Tat zeigt die Ernährungsforschung, dass Gewohnheiten beim Süßhunger entscheidend sind. »Alle Säuglinge der Welt haben eine Vorliebe für Süßes«, sagt Marianne Botta. »Die Freude an Saurem, Salzigen und Bitterem müssen Kinder hingegen zuerst erlernen. Die dafür notwendigen Geschmacksmuster im Gehirn können sich Kinder nur bilden, wenn sie regelmäßig saure, salzige und bittere Lebensmittel schmecken.«
Deshalb können Eltern grundsätzlich darauf zählen, dass ihr Kleinkind eines Tages mögen wird, was sie dem Nachwuchs immer wieder zum «Reinschmecken» vorsetzen. Gleichzeitig empfiehlt es sich, den angeborenen Hang zum Süßen nicht anzuheizen. Marianne Botta weiß das und kauft aus diesem Grund nie Süßgetränke und auch keine fixfertigen Desserts der Nahrungsindustrie ein.
Auch einen «Süßigkeitsvorrat» sucht man im Haus der Bottas vergeblich. Dafür gibt es immer Saisonfrüchte, die zum Dessert verzehrt werden. Getrunken wird ausschließlich Hahnenwasser, bei Bedarf mit einem Schuss Frucht- oder Zitronensaft.
«Viele Mütter finden, man müsse immer etwas Süßes für unerwarteten Besuch zu Hause haben», sagt Marianne Botta. «Doch solche Vorräte fallen in den meisten Familien dem eigenen Süßhunger oder demjenigen der Kinder zum Opfer.»
Für Marianne Botta ist das Grund genug, lediglich die Zutaten für eine Süßspeise vorrätig zu halten: Neben normalem Haushaltszucker vor allem die alternativen Süßungsmittel Birkenzucker, Kokosblütenzucker und Erythrit. Ausserdem Milchprodukte, Vanillestängel, Eier und Früchte. Steht unerwartet Besuch ins Haus, wird aus diesen Zutaten ein Dessert zubereitet, auf das sich alle freuen.
Ein wichtiges Bollwerk gegen den Süßhunger ist in Marianne Bottas Augen das Frühstück. Ihre Kinder essen morgens sättigende Speisen, die vor einem Hungerast in der 10-Uhr-Pause schützen. Zum Beispiel Omeletten, Rührei mit Tomaten und Kartoffeln oder Quark-Getreidemüesli mit Früchten.
Auf ein ähnliches Erfolgsrezept setzt die chinesische Medizin. TCM-Ernährungsberaterin Pascale Barmet empfiehlt, die «energetische Mitte» am Morgen mit einer nährenden, warmen Speise oder einem wärmenden Getränk zu stärken. Ideal ist ein warmer Porridge aus Hafer- oder Hirseflocken, der mit Wasser gekocht und danach mit Honig, Rosinen, Datteln oder Feigen gesüßt wird. Mandeln, Nüsse, Samen, Saisonfrüchte oder Zimt runden den Porridge perfekt ab.
Auch in der ayurvedischen Ernährungspraxis hat der Haferbrei seinen bewährten Platz. Allerdings empfiehlt die Ayurveda-Therapeutin Sonja Gubler, für übergewichtige Kinder einen Porridge aus weniger ölreichen Getreidesorten zuzubereiten. Also aus Gerste oder Buchweizen. Und sie rät bei Übergewicht, die Mandeln durch Pistazien, Pinienkerne oder Sonnenblumenkerne zu ersetzen.
Ideal für Kinder ist auch ein gedämpftes Früchtekompott mit wenig Getreide. Dieses kann man bei Bedarf auch als Schulfrühstück mitgeben.
Pascale Barmet empfiehlt für Kinder, die am Morgen keinen Appetit haben, auch mal eine Suppe. »Suppe zum Frühstück ist in unserer Kultur ungewöhnlich«, gibt sie zu. »Doch wer damit anfängt, merkt rasch, wie gut das tut!«
Die Ernährungs-Fachfrauen sind sich einig: Kinder, die auf diese Weise essen, haben mehr Energie, sind weniger oft erkältet und spüren seltener Süsshunger. »Eine wirklich vollwertige Ernährung macht zufrieden und ausgewogen«, sagt Sonja Gubler. Verspüre man hingegen nach dem Essen regelmäßig Lust auf Süßes, sei dies ein Zeichen für ein energetisches Ungleichgewicht. Das gelte auch für Kinder, die launenhaft oder missmutig seien, wenn sie keine Süßigkeiten bekommen.
Um einer Dysbalance mit Süßhunger vorzubeugen, berücksichtigt die ayurvedische Ernährungswissenschaft eine weitere Regel: Sie empfiehlt, bei jeder Mahlzeit alle Geschmacksrichtungen zu integrieren. Mit den richtigen Gewürzen ist dies einfach zu bewerkstelligen. Beispiel: Würzen Sie den süßen Morgenporridge mit einer Prise Salz (salzig), mit Vanille (scharf, bitter), Zimt (süß, scharf und zusammenziehend) und einem Spritzer Zitronensaft (sauer).
Veränderungspotenzial gibt es auch bei den Eltern: Viele von ihnen naschen selber gewohnheitsmässig Süßigkeiten. Oder sie belohnen, trösten und beruhigen ihre Kinder mit Süßem.
»Dem Zucker-Verlangen der Kinder wird häufig aus eigener Bequemlichkeit oder Überlastung nachgegeben«, sagt die Ärztin und Kinderpsychologin Eveline Breidenstein. Dabei sei die Auseinandersetzung mit dem Suchtpotenzial des Zuckers ein sehr wichtiges Übungsfeld für andere Suchtbereiche wie Computer oder Drogen.
Eine nicht zu unterschätzende Rolle spiele auch die elterliche Wortwahl, sagt der deutsche Ernährungspsychologe Dr. med. Thomas Ellrott erklärt: »Jüngere Kinder können sich nicht vorstellen, was ‹gesund› bedeutet. Doch sie sehen, dass die Eltern hauptsächlich solche Lebensmittel als ‹gesund› bezeichnen, die auf Anhieb weniger gut schmecken. Oder Lebensmittel, welche die Kinder essen müssen, obwohl sie ihnen nicht schmecken.«
So könne es passieren, dass die von den Eltern als gesund bezeichneten Lebensmittel von den Kindern allein weil sie gesund seien, nicht gemocht würden!
Erfolgversprechender sind laut Thomas Ellrott Kommentare wie: »Das schmeckt ja richtig lecker, das musst Du unbedingt probieren!«. So mache man Kindern Lust auf gesunde Nahrung. Würden die Eltern zudem selber Obst und Gemüse im Beisein der Kinder genussvoll verzehren, seien die Chancen optimal, dass die Kinder dieses Verhalten abschauen.
Text: Petra Horat
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KONTAKTE
Marianne Botta,
Ernährungswissenschaftlerin,
Kontakt über https://www.mbfit.ch/uber-mich/
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Pascal Barmet,
Praxis für Ernährungsberatung,
Chinesische Medizin TCM und Akupunktur, Russenweg
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Sonja Gubler,
ayurvedisch-klinische Therapeutin,
Dufourstr. 106, 8008 Zürich, Tel. 044 432 83 55,
www.ayurveda-ernaehrung.ch
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Eveline Breidenstein,
Fachärztin FMH für
Allgemeine Medizin, Affolternstrasse 21, 8913
Ottenbach, Tel. 044 761 25 06
Kein Körnchen Zucker?
Manche Eltern versuchen, ihre Kinder ganz ohne Zucker zu erziehen. Eine rigorose Zuckerverknappung im Kindesalter kann jedoch später in eine Zuckersucht münden, wenn das Kind älter wird und auswärts Industriezucker kennenlernt. Die wichtigste vorbeugende Maßnahme besteht darin, das Süßbedürfnis von Kindern täglich auf natürliche Weise zu stillen: mit süßen Früchten, Nüssen und Mandeln, Getreide wie Mais und Weizen sowie süßlich schmeckendem Gemüse wie zum Beispiel Avocado, Karotten, Erbsen und Kartoffeln.
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Geschmack beginnt im Mutterleib
Das ungeborene Kind nimmt im Bauch der Mutter wahr, welche Nahrungsmittel die Mutter isst und wie diese schmecken. Zum Beispiel Knoblauch oder Gewürze wie Rosmarin, Salbei, Thymian, Kardamom oder Zimt. Seine Geschmackssensoren entwickeln sich unter dem Einfluss dieser frühen Wahrnehmungen. Deshalb hilft es dem Kind für später, wenn sich die Mutter während der Schwangerschaft gesund und vielfältig ernährt.
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Gerald Hüther, Ingeborg Weser: Das Geheimnis der ersten neun Monate – Reise ins Leben.
Weinheim Verlag Beltz 2017 (4. Auflage)
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