Wo immer mein 80-jähriger Onkel ‹Piitschli› auftaucht, entsteht Freude. Schon als Kind war ich von seinem Humor und seiner positiven Lebenseinstellung angetan. Zum Glück gibt es auch immer mehr Nachrichten-Journalisten, die im ‹Piitschli-Modus› unterwegs sind: Journalisten, die nicht nur das Negative sehen, sondern auch das Positive, Konstruktive. Die den Menschen Hoffnung geben und wo immer möglich Nutzen stiften. Zu ihnen gehört der Nachrichtenchef des dänischen Rundfunks Ulrik Haagerup.
Statt nur über Naturkatastrophen, Krieg und Unfalle zu berichten, setzt Haagerup bewusst auf konstruktiven Journalismus. «Natürlich müssen wir auch über Missstände informieren», sagt der 54-Jährige. «Doch das Problem ist, dass wir uns meist mit der Beschreibung der Missstände begnügen.»
Der Eindruck, dass alles immer schlimmer werde, widerspreche den Fakten, sagte der Nachrichtenjournalist schon vor ein paar Jahren in einem Interview mit dem Schweizer Tagesanzeiger (18.9.2015). Eine Analyse der UNO-Entwicklungsziele mache deutlich: «Noch nie kamen so wenig Menschen im Krieg um wie heute, so schrecklich die Berichte aus Syrien oder Zentralafrika auch sein mögen. Noch nie haben so viele Menschen freien Zugang zu sauberem Wasser gehabt wie heute. Wissen das unsere Zuschauer? Unsere Leser? Ich behaupte: Nein.»
Haagerup hat bei seinem Sender viel geändert. Seine Journalisten suchen bei Geschichten gezielt nach konstruktiven Ansätzen.
Und das obwohl konstruktiver Journalismus zeitaufwändiger ist. «Erstens, weil man anders, weiter denken muss», erklärt Haagerup. «Zweitens, weil man dazu hinaus muss aus der Redaktion, um das Konstruktive zu ergründen. Etwa um jene Stadt zu finden, die trotz schwerer Krise anders mit ihren Bauruinen umgeht als Detroit. Oder um jenes Land zu bereisen, das Flüchtlinge anders behandelt als Australien, wo die Navy zu ihrer Abwehr aufgeboten wird. Wenn man zeigen kann, wie ein dermassen lang gezogenes Land wie Norwegen Ärzte davon überzeugen kann, auch 3000 Kilometer nördlich von Oslo zu praktizieren.»
Die Reaktionen des Publikums geben Ulrik Haagerup recht: Seine Nachrichtensendung ist inzwischen die erfolgreichste des Landes, die kommerziellen Konkurrenten liegen deutlich zurück.
Dass konstruktiver Journalismus tatsächlich Zukunft hat, das belegt auch eine Umfrage des Reuters Institute von 2017: Danach sollen 48 Prozent der Menschen Nachrichtenkonsum meiden, weil sie die schlechten Meldungen nicht mehr ertragen können. Andere Zahlen belegen, dass Beiträge mit einem konstruktiven Ansatz die Resonanz in den sozialen Medien deutlich steigern.
Ulrik Haagerup: Constructive News
Warum ‹bad news› die Medien zerstören und wie Journalisten mit einem völlig neuen Ansatz wieder Menschen berühren.
Verlag Oberauer, Salzburg 2015
213 Seiten
ISBN 978-3-901227-48-6
Mehr zu Ulrik Haagerup erfährst Du in der Sendung ‹Kulturplatz› (26.08. 2015).
Mut zur Veränderung
Vereinzelte Print- und Online-Medien setzen bereits auf lösungsorientierten Journalismus. Im englischen Sprachraum ist dies zum Beispiel die Online-Zeitschrift ‹The Huffington Post›.
In Deutschland betreibt die Wochenzeitung DIE ZEIT seit Jahren konstruktiven Journalismus. Die ZEIT ist eines der wenigen Printmedien, die in der Medienkrise Leser dazugewonnen haben.
Auch der Zürcher Tages-Anzeiger macht in seinen Sonderbeilagen gute Erfahrungen mit lösungsorientiertem Journalismus. Chefredaktor Res Strehle sagte dazu in einem Interview: «Die Negativ-Geschichten – die traurigen, die kritischen, die verzweifelten Berichte – hat man sowieso. Aber man will gleichzeitig auch zeigen: Es gibt Mut zur Hoffnung, es gibt Mut zur Veränderung.»